Rede für Lorenz

von copwatchffm und Semra FAM

Es ist der 19.04.2025. Lorenz ging Samstag nachts in Oldenburg in den Club, um feiern zu gehen, um Spaß zu haben. Eine so alltägliche Situation, in der sich jede*r von uns sieht. Am Wochenende Pause machen, Spaß haben, den Kopf frei kriegen, eine schöne Zeit mit Freund*innen verbringen. Doch dieser Abend endete tödlich.
Unfassbar. Unbegreiflich. Schmerzhaft.

Wie oft habe ich, hast du, haben wir, einander spät nachts in den Arm genommen, unsere Wut herausgeschrien, wenn mal wieder eins von uns mit einem entmenschlichenden, abfälligen Handwink als nicht würdig genug, nicht reich genug, nicht weiß genug gebrandmarkt wurde. Wie oft schon haben wir versucht einander aufzufangen, zerrissen zwischen dem Zorn, der Hilflosigkeit und der Demütigung? Wir wissen, dass es kein Zufall ist, dass wir mit einem flauen Gefühl in den Clubschlangen stehen, wachsam, angespannt. Und dann, wenn es sich wieder bestätigt, der Rassismus uns offen entgegenschlägt, dann sollen wir… Was? Still sein? Den Ball flach halten? Kopf runter, bloß nicht reagieren, hinnehmen. Denn sonst? Sonst. Sonst kommt die Polizei. Und weil die Polizei kam, ist Lorenz jetzt tot.

Lorenz war 21 Jahre alt. Ein junger Schwarzer Mann. Das ganze Leben noch vor ihm.
Am Osterwochenende wurde er von der Polizei ermordet. Es erinnert an eine Hinrichtung. Vier Schüsse – drei davon trafen ihn von hinten. In die Hüfte. In den Oberkörper. In den Kopf.
Schon wieder hat Deutschland uns einen Bruder, einen Freund, einen Sohn – einen von uns genommen.
Lorenz Mutter hat ihren einzigen Sohn verloren, seine Freund*innen einen von ihnen – ein weiteres Leben wurde bewusst ausgelöscht, eine weitere Zukunft geraubt, unsere Herzen erneut in Trauer. Voller Schmerz. Voller Wut.

Wir wissen: Lorenz war kein „tragischer Einzelfall“. Der Mord an Lorenz ist das Ergebnis von strukturellem Rassismus, von Polizeigewalt, ausgehend von einem Staat und der weißen Dominanzgesellschaft, in der Schwarzes Leben systematisch entwertet wird.

Der Mord an Lorenz reiht sich ein in eine Serie von Polizeigewalt in der BRD.
Jedes Jahr fahren wir von einer Gedenkkundgebung zur anderen. Nach Hanau, nach Halle, nach Hamburg, wieder nach Hamburg, nach Dessau, nach Berlin, nach Berlin, nach Frankfurt und wieder nach Frankfurt, nach Schweinfurt und jetzt nach Oldenburg, um zu erinnern und um zu kämpfen. Wir fordern Gerechtigkeit, eine lückenlose Aufklärung und Konsequenzen, denn No Justice no Peace!

Wir erinnern uns an Oury Jalloh – verbrannt in einer Dessauer Zelle.
Wir erinnern uns an Christy Schwundeck – erschossen vorm Frankfurter Jobcenter.
Wir erinnern uns an Amin Farah, auch genannt Biriq – getötet durch Polizeikugeln im Frankfurter Bahnhofsviertel.
Wir erinnern an Achidi John.
Wir erinnern an Lamin Touray.
Wir erinnern an Ibrahima Barry.
Wir erinnern an Mouhamed Lamine Dramé.
Wir erinnern an Qosay Khalaf.

Und jetzt – Lorenz.

Es sind unzählige weitere Namen, von denen uns viele nicht einmal bekannt sind. So viele weitere Opfer von tödlicher Polizeigewalt.

Diese Namen sind keine Einzelfälle. Sie sind Teil einer grausamen Kontinuität.
Sie sind Ausdruck eines Systems, das Schwarze Menschen, rassifizierte Menschen, arme Menschen, psychisch erkrankte Menschen als Bedrohung konstruiert und sie gezielt auslöscht.

Die Polizei in Deutschland tötet. Immer wieder. Und Wieder. Und Wieder.
Und jedes Mal wird uns gesagt: Es war Notwehr. Es war ein tragischer Unfall. Es war Selbstverteidigung. Aber Selbstverteidigung vor wem? Vor wem muss sich der Bulle mit dem Schlagstock und der Schusswaffe verteidigen? Vor einem jungen Mann, der vermutlich aus Angst wegrennt?
Dabei dürfen und müssen wir uns wehren, gegen dieses rassistische und mörderische Regime, das ohne mit der Wimper zu zucken schießt und tötet.

Wir wissen, die Polizei mordet, weil sie morden will.
Wir können das nicht hinnehmen. Wir können nicht noch jemanden verlieren. Wir müssen uns mit unserer Trauer, unserem Schmerz und unserer Wut organisieren.

von Aaiún Nin aus: Denn Schweigen ist ein Gefängnis


Trauern ist Bewegung.
Trauern ist Schmerz.
Über Verlust.
Über das Sterben der Menschen.
Über Tragödien und tiefgreifendes Unglück.
Es heißt freudlos zu sein.
Hoffnungslos.
Wütend.
Wahnsinning.
Wütend.
Über allem die Wut.
Es heißt nicht, auf Gerechtigkeit zu warten.
Trauern heißt sich zu bewegen.
Heißt zu brennen, ja
Namen zu nennen
und nicht zu vergessen.
Es ist ein Abschluss.
Anerkennung.

Trauer ist nicht statisch.
Es gibt keine Dissonanz
zwischen Trauern und organisieren.

Wir trauern
weil wir Menschen sind um anzuerkennen, dass wir Menschen sind
und dass jene, die gestorben sind
durch die Hand der Ungerechten Menschen sind.

Und es verdienen wie Menschen behandelt zu werden.
Trauern heißt nicht, zu vergessen.
Als Menschen, deren Geschichte ausgelöscht wurde
können wir es uns nicht erlauben zu vergessen.
Und wir vergessen
wenn die Verletzlichen
abgehalten werden
überhaupt vom Schmerz
von der unüberwindbaren Trauer zu sprechen die hinausströmt
uns zum Handeln bringt.
Trauern ist eine Handlung.
Es ist nichts, dass uns passiert.
Trauern ist eine Handlung.

Schwarze Menschen sind auf die Straßen der Welt getreten.
Schreiend: Unsere Leben zählen.
Wütend.
Aus Trauer.
In einem Akt des Trauerns.

Trauer ist nicht statisch.
Sie ist ein kraftvoller Akt.
Protest.
Hier
wo wir nicht als Menschen angesehen werden.

Wer wird um uns trauern
wenn wir es nicht selbst tun?
Wer wird uns zu Menschen machen
wenn wir es nicht selbst tun?

Der Schmerz sitzt tief. Die Trauer ist in jedem von uns.Wir sind mit dem Schmerz nicht allein.
Lass uns füreinander da sein.

Rassistische Polizeikontrollen sind keine Ausrutscher.
Sie sind gewollt. Sie sind Teil eines Staates, der sich auf Überwachung, Kontrolle und Unterdrückung der Mehrheit stützt. Für die vermeintliche Sicherheit einiger weniger.

Ein Staat, der täglich demonstriert: „Wir können mit euch machen, was wir wollen.“
Demütigen. Misshandeln. Abschieben. Töten.

Wenn Polizist*innen Gewalt anwenden, haben sie quasi keine Konsequenzen zu befürchten.
Wenn Betroffene sich wehren, landen sie selbst vor Gericht – konfrontiert mit Gegenanzeigen, mit erfundenen Vorwürfen, mit einer Justiz, die sie nicht schützt, sondern verdächtigt und kriminalisiert. Eine Untersuchung von Lorenz Mord durch das benachbarte, ebenfalls nachgewiesen rassistische Polizeirevier in Delmenhorst, das für den Tod von Qosay Khalaf verantwortlich ist, reiht sich hier ein.

Damit schützt die Polizei nur sich selbst. Das System schützt sich selbst. Darauf können wir uns nicht verlassen.
Wir – wir schützen uns gegenseitig.

Wir sagen: Schluss damit.
Keine weitere Gewalt. Keine weiteren Opfer. Kein weiteres Schweigen. Kein weiteres Wegsehen.

Wir fordern Gerechtigkeit für Lorenz.
Wir fordern eine unabhängige Ermittlungsstelle, die nicht nur Beschwerden annimmt, sondern tatsächlich ermittelt!
Und wir fordern noch mehr:

Wir fordern die grundsätzliche Abschaffung der Polizei als Institution der Gewalt, der Repression, des Rassismus.

Wir wollen keine Reformen – wir wollen ein Ende dieses Gewaltapparats.
Sicherheit entsteht nicht durch bewaffnete Uniformierte.
Sicherheit entsteht durch Solidarität, durch Communitys, durch gegenseitige Unterstützung, in Fürsorge und Verantwortung füreinander.

Aus Wohnungen für alle. Aus Gesundheitsversorgung, die heilt. Aus Bildung, die stärkt. Aus Universitäten ohne Polizeipräsenz.
Aus Gemeinschaften, die sich selbst organisieren, die sich gegenseitig schützen – ohne Polizei, ohne Knäste, ohne staatliche Gewalt.

Organisiert euch! Schaut hin, wenn ihr rassistische Kontrollen beobachtet. Dokumentiert sie. Übt euch in Solidarität. Auch auf dem Campus, wo Securities Personen willkürlich kontrollieren. Copwatchffm hat die letzten Monate mehrere Fälle von Betroffenen am Campus begleitet, auch dieser Platz ist kein sicherer Ort. Passt auf eure Kommiliton*innen auf, auch das gehört zu widerständiger Wissenschaft.

Aber vor allem: Werdet laut. Werdet unbequem. Lasst uns viele werden. Organisiert euch, begleitet Betroffene bei Gerichtsprozessen und unterstützt Initiativen und Beratungsstrukturen von unten.

Für eine Welt ohne Polizei. Für eine Welt ohne rassistische Gewalt.

Für alle, deren Namen wir kennen –
und für all jene, deren Namen nie laut gesagt wurden.

Für Lorenz.

Wir werden euch nie vergessen. Wir werden weiter für euch kämpfen.

NO JUSTICE, NO PEACE – ABOLISH THE POLICE