Stellungnahme Opernplatz 08.08.2020

Nachdem es in der Nacht von Samstag auf Sonntag am 19. Juli 2020 zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Besucher*innen des Opernplatzes gekommen ist, reagierte die Stadt Frankfurt am 23. Juli 2020 mit einer Allgemeinverfügung über den nächtlichen Aufenthalt am Opernplatz in Frankfurt, die ein Betreten des Platzes ab 0:00 Uhr und den Aufenthalt auf dem Platz zwischen 1:00 und 5:00 Uhr Nachts verbietet. 

Als Informations- und Dokumentationsstelle, die Betroffene unterstützt, wissen wir, dass rassistische Polizeikontrollen (Racial Profiling) in Frankfurt immer wieder passieren. Seit den Geschehnissen am Opernplatz lässt die Polizei insbesondere Schwarze Jugendliche, Jugendliche of Color und migrantisierte Jugendliche nicht in Ruhe und schikaniert sie mit rassistischen Kontrollen in der Innenstadt, im Bahnhofsviertel und in der Umgebung des Opernplatzes. Dadurch wird die Innenstadt zum Angstraum für betroffene Menschen. Aktuell weitet die Polizei die Kontrollen sogar im ÖPNV aus und begründet dies mit den Geschehnissen am Opernplatz. Sowohl Betroffene als auch Augenzeug*innen berichteten, dass fast ausschließlich „migrantisch“ gelesene Jugendliche und junge Erwachsene im Fokus der Polizei standen. Die betroffenen Personen, solidarische Aktivist*innen und Passant*innen intervenieren, stehen den Kontrollierten bei und kritisieren diese rassistische Praxis.

Obwohl Racial Profiling seit Jahren eine Belastung und Bedrohung für betroffene Menschen darstellt, weist die Polizei Vorwürfe dieser Art zurück.  Eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus innerhalb der Polizei wird immer wieder verhindert, zuletzt mit dem Argument dies sei verboten und somit nicht vorhanden. Ein Merkmal von Rassismus ist es, Personengruppen in bestimmte Kategorien einzuteilen (z.B. als migrantisch) und ihnen dann pauschal eine höhere Bereitschaft zu Kriminalität zu unterstellen. Die Polizei tut genau das. Polizeipräsident Gerhard Bereswill betont, seine Beamten stünden völlig zu Unrecht unter Generalverdacht, obwohl es seit Jahren den Vorwurf des Rassismus gegen die Frankfurter Polizei gibt und obwohl zur gleichen Zeit der NSU 2.0 mutmaßlich weiterhin unter Rückgriff auf Polizeidaten Todesdrohungen verschickt. Die Behauptung eines Generalverdachts gegen die Polizei ist zynisch, da Racial Profiling genau auf einem solchen Generalverdacht gegen Schwarze und Personen of Color aufbaut. Die Opferposition, die die Polizei hier für sich beansprucht, ist absurd angesichts der Macht, die die Polizei innehat.

Am ersten Wochenende der Opernplatzräumung kam es zu „Begegnungen“ zwischen der Stadt Frankfurt, vertreten durch Oberbürgermeister Peter Feldmann und Stadtrat Markus Frank und Betroffenen. Hierbei wies Frank die vielfachen Vorwürfe des Racial Profiling ignorant als „Bullshit“ zurück. Und Feldmann hatte für die Sorgen der Betroffenen nur leere Phrasen übrig. Die Versäumnisse der städtischen Politik sich für die Coronazeit um sichere Räume und Plätze für alle zu kümmern, an denen sich aufgehalten werden kann, werden nun dadurch verschleiert, dass eine Gruppe konstruiert wird (Personen „mit Migrationshintergrund“), die gar keine einheitliche Gruppe ist, sondern Personen mit sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten und Erfahrungen. Und diesen zu „den Anderen“ gemachten Personen wird dann öffentlichkeitswirksam die Schuld an den Auseinandersetzungen mit der Polizei am Opernplatz gegeben.

Die Stimmungsmache, die sowohl von den Polizeiverantwortlichen, als auch der Presse initiiert wurde, hat in der Zivilbevölkerung Konsequenzen für die Betroffenen. Es ist aufgrund eines ausbleibenden öffentlichen Aufschreis der Mehrheitsgesellschaft zu befürchten, dass es zu einer zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung für offene rassistische Polizeirepression kommt. Politische Gruppen, die sich gegen strukturellen, institutionellen Rassismus, Diskriminierung und Racial Profiling engagieren, werden kaum bis gar nicht gehört und stattdessen denunziert.

Wir kritisieren zutiefst die Diskursverschiebung, die von Politik, Polizei und vielen Medien aktuell betrieben wird und fordern stattdessen:

1. Solidarität mit Betroffenen von Racial Profiling und rassistischer Polizeirepression

2. Die Beendigung dieser massiven Polizeipräsenz in der Stadt. Die rassistische Alltagspraxis von Behörden darf nicht hingenommen werden. Herr Feldmann betont ja gerne, dass Frankfurt so „multi-kulti“ sei und gibt damit international an. Dann soll er sich jetzt auch für die vielen Menschen mit internationaler Geschichte, für die die Polizei keine Sicherheit, sondern Angst bedeutet, einsetzen und diese rassistische Praxis beenden!

3. Das Recht in Ruhe gelassen zu werden, unbehelligt am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, ohne Gewalt, Diskriminierung und Kriminalisierung ausgesetzt zu sein. Dieses Recht muss es für alle Menschen geben!

Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0

Unser Redebeitrag auf der Kundgebung von Kein Schlussstrich & friendz am 20.07.2020

Mal wieder haben wir uns heute hier versammelt, um gegen Rassismus und rechte Strukturen in der Polizei zu demonstrieren. Ich stehe hier heute als Teil von copwatch ffm, die sich seit Jahren gegen rassistische Polizeigewalt und -Kontrollen einsetzen. Aber ich stehe hier auch erneut als migrantisierte Einzelperson, die kein Bock mehr auf die ständige, rassistische Schikane der Polizei hat.

Letztes Wochenende berichtet die Hessenschau von Hunderten, die am Opernplatz gegen die Polizei randalierten. Die Polizei hält es für wichtig die Hintergründe der Festgenommenen zu recherchieren als „Stammbaumforschung“. In der Presse wird von „einem erheblichen Teil mit Migrationshintergrund“ gesprochen. Doch für die Polizei gab es für den Aufruhr keinen erkennbaren Grund. Zeitgleich erreicht uns über Twitter, wie so oft, eine Aufnahme von rassistischen Kontrollen am Hauptbahnhof in derselben Nacht. Aber für die Polizei gibt es für unseren Frust, keinen erkennbaren Grund. Seit Jahren erheben wir unsere Stimmen so laut wir können gegen Rassismus und rechte Strukturen in der Polizei. In den letzten Monaten wurden unsere Stimmen dann scheinbar auch endlich mehr gehört. Aber die Polizei sieht keinen erkennbaren Grund?!

Besonders jetzt, in Zeiten von Corona, wird sichtbar wie stark die Polizeikontrollen von Bezirk zu Bezirk in ihrer Intensität, Präsenz und Gewalt variieren. Sogenannte gefährliche Orte werden von der Rassifizierung der Menschen, die in diesen Bezirken leben und sich aufhalten, bestimmt und sind kein Zufall.

Es reicht! Der Rücktritt vom Polizeipräsidenten Münch ist nicht genug. Und ein Rücktritt löst auch keine Probleme. Das Problem heißt Rassismus. Und wenn es eine Verweigerung gibt dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen, dann gibt es auch keine Aussicht auf Besserung. Der Rücktritt von Innenminister Beuth wäre zumindest symbolisch das Mindeste.

Wir brauchen keine Polizei, die migrantische Menschen, BIPoCs, Romn*ja und/oder arme Menschen nicht schützt, sondern kriminalisiert, schikaniert und tötet! 

Dass die Polizist*innen des selbsternannten „NSU 2.0“ Polizeicomputer zum Verschicken von Morddrohungen benutzen, ist nichts Neues! Wir standen schon einmal genau hier. Ganz genau hier vorne als die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız mehrfach Morddrohungen erhielt. Als die Polizei ihr einfach riet sich zu bewaffnen, als damit gedroht wurde ihrer Tochter was an zu tun, statt ernsthafte Konsequenzen einzuleiten. Statt die Polizist*innen, die hinter dem „NSU 2.0“ stehen zu entlarven, zu bestrafen und zu entlassen.  Statt Mutter und Tochter ihr Recht auf Sicherheit zu gewährleisten und damit eine Stimme gegen Rechts zu präsentieren, wurde rein gar nichts unternommen. Nichts. Und jetzt häufen sich die Morddrohungen und Drohschreiben. Idil Baydar, Hengameh Yaghoobifarah, Majbritt Ilner, Deniz Yücel, Janine Wissler, Helin Evrim Sommer, Martina Renner, Anne Helm, Jutta Ditfurth und bedrohlicher Weise erweitert sich täglich die Liste mit noch weiteren Namen. Fast 2 Jahre nachdem wir das erste Mal vom „NSU 2.0“ hörten, ist es immer noch möglich, dass dieser weiter hin Menschenleben bedroht?!

Wir von copwatch ffm sprechen unsere uneingeschränkte Solidarität mit allen aus, die Drohungen von diesem rechten Netzwerk erhalten haben! Und wir plädieren stark dafür, dass alles daran getan wird, dass keine weiteren Menschen bedroht werden und ihre Unversehrtheit gesichert wird! Der Rücktritt vom Polizeipräsidenten Münch reicht nicht! Es müssen ernsthafte Konsequenzen eingeleitet werden, um die Struktur selbst zu verändern. Wenn die polizeilichen Strukturen ein Nährboden schaffen für sexistisches, transfeindliches, rassistisches und rechtes Gedankengut, dann ist etwas mit dieser Institution fundamental falsch!!

Die Polizei sah letztes Wochenende bei den Randalen am Opernplatz, keinen Grund. In den Medien wird von erschüttertem Vertrauen in die Polizei gesprochen. Horst Seehofer hält eine Studie zu Rassismus in der Polizei für unnötig, während wir versuchen mit der Dokumentation der sich häufenden Fälle hinterherzukommen. Migrantische und nicht-weiße Menschen sind in Großenteilen mit diesem Mistrauen in die Polizei aufgewachsen! Unser Freund und Helfer ist die Polizei nicht und war es auch nie!

Daher überrascht uns der aktuelle Skandal um die Aufdeckung rechter Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei trauriger Weise nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der strukturelle Rassismus und die Verflechtungen von Polizei und organisierten Rechtsradikalen und Rechtsterrorist*innen wieder in den Blick der Öffentlichkeit treten würden. Sei es das erste Revier in Frankfurt, das im Zusammenhang mit den als „NSU 2.0.“ unterzeichneten Drohbriefen steht. Sei es das als „Hannibals Schattenarmee“ bezeichnete rechtsterroristische Netzwerk in der Bundeswehr. Sei es der NSU-Komplex, der den Verfassungsschutz und andere staatliche Behörden geradezu durchdringt. Seien es die zahlreichen, nicht aufgearbeiteten Morde von Polizist*innen – all dies verweist auf den institutionell tief verankerten Rassismus & die Verharmlosung rechter Gewalt im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Und leider betrifft es nicht nur den Staat sondern auch weite Teil der Zivilgesellschaft, die wegguckt, verharmlost oder sogar ebenso bei diesen Rassismus und Rechtsextremismus mitmacht.

Wir fordern:

  • lückenlose Aufklärung des NSU und des NSU 2.0
  • Rücktritt von Innenminister Beuth
  • Rücktritt von Horst Seehofer
  • Ein Ende aller rassistischen Polizeikontrollen
  • Eine systematische Auseinandersetzung mit dem institutionellen und alltäglichen Rassismus in der Polizei, der Justiz und anderen stattlichen Behörden
  • Die Einführung unabhängiger Untersuchungs- und Kontrollstellen, die von den betroffenen Communities koordiniert werden

Wir fordern außerdem die Zivilgesellschaft auf:

  • Gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam Rassismus anzugreifen
  • Die Polizei kritisch zu beobachten und sich rassistischen Handlungen entgegenzustellen – ob im Stadtteil, in der Bahn, auf der Straße, in der Schule oder am Arbeitsplatz.

Lasst und gemeinsam den rassistischen Alltag bekämpfen, indem wir aufeinander achten und solidarisch miteinander sind!

WE LOOK OUT FOR EACH OTHER!