Wieso Polizeimeldungen keine neutrale Quelle darstellen

Polizeimeldungen sind keine neutrale Quellen. Es handelt sich vielmehr um Pressemitteilungen einer staatlichen Einrichtung, z. B. einer Polizeiinspektion, eines Polizeipräsidium oder einer Kreispolizeibehörde. Daher sind ‚Blaulicht‘-Meldungen ein Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit, hinter der immer eine eigene Agenda und Interessen stehen.

Die Polizei ist selbst Akteur*in ihrer Meldungen. Eine differenzierte Berichterstattung liegt daher nicht in ihrem Interesse. Die Polizei ist parteiisch. Und ihre Pressemitteilungen sind es selbstverständlich auch.
Polizeimeldungen sollten kritisch geprüft werden. Es handelt sich nicht um objektive Tatsachenberichte, sondern um eine subjektive Darstellung einer Partei, die selbst in einen Vorgang involviert ist.

Leider nutzen viele Medien Polizeimeldungen als „privilegierte Quellen“ und übernehmen die Informationen oft völlig unkritisch. Teilweise werden die Meldungen auch einfach komplett kopiert oder lediglich etwas sprachlich angepasst. Dadurch werden Narrative der Polizei unhinterfragt weiterverbreitet.

Dass diese Übernahme der Polizeiperspektive auch bis in die höchsten Ebenen politischer Amtträger*innen geht, haben wir am Beispiel des Mordes von Mouhamed Lamine Dramé durch die Dortmunder Polizei gesehen. Erst durch die unermütliche Arbeit für Aufklärung und Gerechtigkeit des Solidaritätskreises und kritischen Medienberichten konnte gezeigt werden, dass von Mouhamed keine Gefahr ausging und es sich nicht um eine Notwehrhandlung der Polizei handelte. Gibt es jedoch keine Videoaufnahmen oder zufällige Beweise, wie der Telefonmitschnitt des Notrufes in Dortmund, bleibt die Polizeidarstellung quasi ausnahmslos unhintefragt.

Als Exekutive sollten Pressemitteilungen der Polizei mindestens genauso kritisch eingeordnet und hinterfragt werden, wie Pressemitteilungen von Ministerien & Politiker*innen. Informationen über im Einsatz mutmaßlich verletzte Polizeibeamt*innen oder die vermutete Gewaltbereitschaft einer angemeldeten Versammlung berühren immer auch polizeiliche Interessen wie die personelle Ausstattung oder die Rechtfertigung von Maßnahmen. Die Polizei ist eine gesellschaftliche Akteurin, die nicht gerade für ihre Selbstreflexion und das Zugeben von Fehlern & Missständen bekannt ist, sondern ihre eigene Agenda verfolgt.

In den Sozialen Netzwerken kommuniziert die Polizei außerdem auch häufiger direkt mit Follower*innen. Viele Polizeistationen haben inzwischen eigene Social-Media-Teams. Auf Twitter und Co. präsentieren sich die Beamt*innen als jung, locker und jugendlich, um Stimmung und Meinung zu machen. Die Polizei hat keinen behördlichen Auftrag mit Ironie und lustigen Geschichten in Sozialen Netzwerken für Unterhaltung zu sorgen.

Polizeimeldungen und insbesondere Social Media Beiträge der Polizei sind ein eigenes Medianangebot, mit denen diese Institution Nutzer*innen unmittelbar erreicht. Anordnungen, lustige Videos, Empfehlungen und kuratiere Inhalte stehen nebeneinander. Dadurch kommt es zu einer Vermischung von behördlichen Informationen und PR. Umso wichtiger ist daher eine journalistische Kontextualisierung der polizeilichen
Öffentlichkeitsarbeit.

Die Polizei verbreitet in ihren Pressemitteilungen auch Falschmeldungen. Und sind diese erstmal publiziert und von anderen Medien umhinterfragt kopiert, kann dies gerade für Betroffene von rassistischer Polizeigewalt sehr belastend sein.

Wir fordern:
– Medien sollen nicht als Verteiler für Polizeimeldungen fungieren.
– Kritische Berichterstattung über Fälle von Polizeigewalt.
– Eigene Recherche von Journalist*innen statt bloßes Abschreiben.
– Die Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflicht.
– Solidarität für Betroffene von rassistischer Polizeigewalt in den Kommentarspalten von unkritisch übernommenen Polizeimeldungen.

04.08.2022 Demo von BeHeardFfm #Nein zu Stefan Müller

Statement zur Problematik Stefan Müllers als Polizeipräsident und zu den Hausdurchsuchungen bei Frankfurter Polizeibeamten

Als Gruppe copwatch ffm möchten wir uns zu den Geschehnissen der letzten Tage innerhalb der Frankfurter Polizei positionieren.

Am 25. Juli wurde Stefan Müller zum neuen Polizeipräsidenten ernannt. Dieser war nach dem SEK Skandal, in dem im Juni 2021 extrem rechte Chatgruppen in den Reihen des sogenannten Spezialeinsatzkommandos der Frankfurter Polizei an die Öffentlichkeit gelangten, als Leiter eines Expertenstabs eingesetzt, der diesen Vorfall „aufarbeiten“ und die Einheit wieder neu aufstellen sollte. In dieser Position ist Stefan Müller mit einer zutiefst rassisistischen Äußerung aufgefallen, in der er sich in Verwendung des N-Worts auf das rassistische Kinderlied „Zehn kleine N….“ bezieht.

Eine Entschuldigung Müllers genügte, um ihm den Posten trotzdem zu überreichen. Ein Jahr später wurde Stefan Müller zum Polizeipräsidenten ernannt, obwohl es schon im Vorfeld Protest und eine Petition gegen seine Ernennung gab. Dass er seit vergangenem Montag trotzdessen das Amt des Polizeipräsidenten besetzt, nehmen wir nicht wortlos hin! Wie soll ein Mensch, der rassistischen Begriffe und Vergleiche für sagbar befindet, dazu geeignet und in der Lage sein, Rassismus innerhalb seiner Behörde aufzuarbeiten? Konsequent wäre einzig und allein eine ernsthafte Auseinandersetzung Stefan Müllers mit Rassismus und die damit verbundene Abgabe des neuen Amtes.
Besonders für Schwarze Menschen, People of Colour und migrantische Personen bedeutet ein Polizeipräsident im hessischen Polizeiapparat, der trotz rassistischer Äußerungen in seiner Position bleibt, eine weitere Verunsicherung durch die Polizei. Denn es zeigt wieder einmal – rassistische (Gewalt-)handlungen haben für die Täter*innen keine Folgen, nicht für Beamt*innen, die Racial Profiling betreiben, nicht für den Polizeipräsidenten, der den rassistischen Diskurs innerhalb der Polizei mit seinen Worten befeuert

Deshalb schließen wir uns Einzelpersonen und Gruppen wie Beheardffm an, die diese Ernennung skandalisieren und einen Rücktritt Stefan Müllers fordern.

Dass Skandale um rassistisches Denken und Handeln innerhalb der Frankfurter Polizei keine sogennannten „Einzelfälle“ sind, war für uns, wie für viele, die seit Jahren gegen Polizeigewalt und Rassismus im Raum Frankfurt aktiv sind, keine Überraschung. Am 29. Juli hat das Frankfurter Polizeipräsidium wieder für Aufsehen gesorgt, nachdem Wohnungen von fünf Polizeibeamten durchsucht wurden. Auch dieses mal, wie vor einem Jahr in den Reihen des SEK, gaben Chatgruppen den Hinweis auf extrem rechte Gesinnung innerhalb der Polizei. Dass vermutlich auch Vorgesetzte der Beamten involviert waren, macht für uns nur noch deutlicher, was wir immer wieder betonen: Es gibt ein strukturelles Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus in der hessischen Polizei. Es zieht sich durch alle Ebenen der Institution. Die Verantwortung weiter bei Einzelpersonen zu suchen, verschiebt die Gewalt der Institution Polizei auf das uniformierte Individuum. Dieses ist jedoch nur Teil eines Polizeiapparats, der seit jeher für die Kriminalisierung und Gewalt gegen mittellose, migrantische, Schwarze Menschen und PoC steht. Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus sind keine Ausnahmen polizeilichen Funktionierens sondern grundlegender Teil der Polizei.

Wir als copwatch ffm befürworten es, wenn sich eine Einheit wie das SEK auflöst und wenn Beamt*innen nach der Veröffentlichung von ihrem extrem rechten Gedankengut zur Verantwortung gezogen werden. Genauso, wie wir für die Auflösung anderer Polizeieinheiten stehen, die für marginalisierte Gruppen stets Gewalt auf vielen Ebenen bedeuten.

Durch die Polizei wird alltägliche Gewalt gegenüber marginialisierten Gruppen ausgeübt, was immer wieder auch den Tod für besonders arme und migrierte Schwarze Menschen und People of Color bedeutet: Für Christy Schwundeck, für Oury Jalloh, für Qosay Sadam Khalaf und für einen 47-jährigen Mann mit psychischer Krankheit aus Mannheim im Mai diesen Jahres – und für so viele mehr!

Es reicht nicht, hin und wieder extrem rechte Beamt*innen zu entlassen. Es reichen keine Entschuldigungen der Beamten und es genügt auch nicht, sich als neuer Polizeipräsident der Frankfurter Polizei von extrem rechten, rassistischen Vorfällen „betroffen“ zu zeigen. Vielmehr sehen wir, dass die Polizei, und dabei tut sich die hessische Polizei besonders hervor, von rechtsextremen Netzwerken durchzogen ist.

Wir setzen uns weiterhin für eine lückenlose Aufklärung aller rechtsextremen Netzwerke in der Polizei ein und fordern Konsequenzen, die heißen: Weniger Ressourcen, weniger Rechte & Kompetenzen und weniger Waffen für die Polizei, anstatt immer wieder Steigerungen in Budget und Personal.

Deshalb fordern wir in Reaktion auf die letzten Geschehnisse in der Frankfurter Polizei:

  • Einen Rücktritt des Polizeipräsidenten Stefan Müller.
  • Eine konsequente Auflösung rechter Polizeistrukturen, statt Umgestaltung oder Neu-Strukturierung, die das Polizeiproblem einfach nur verschieben.
  • Unabhängige Beschwerdestellen, die rassistische Vorfälle durch Polizeibeamt*innen dokumentieren und im Interesse der Betroffenen handeln.

Stellungnahme der ISD Frankfurt und von copwatchffm zum Abschlussbericht der Expert*innenkommission Hessen „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“

Vor kurzem wurde der Abschlussbericht der Expert*innen-Kommission zur Verantwortung der Polizei Hessen vorgestellt. Diese Kommission sollte die Situation der hessischen Polizei im Kontext von unerlaubten polizeilichen Datenabfragen und rechtsextremen Chats unabhängig bewerten sowie Handlungsempfehlungen für die Zukunft formulieren. Wir wurden von der Kommission als Expert*innen jeweils zum Austausch über die Unterstützung Betroffener eingeladen. 

Aus folgenden Gründen kritisieren wir die Umsetzung der Kommission als unzureichend rassismuskritisch und zu wenig sensibel mit Themen der Opferberatung oder Betroffenenschutz:

   1. Die  fehlende Anerkennung unserer Expertisen. copwatchffm wurde lediglich von einer Person angehört und unsere jeweiligen Expertisen wurden teilweise „verargumentiert“. Waren wir bemüht, lokale Probleme zu thematisieren und daraus Vorschläge für die Kommission abzuleiten, wurde uns z.B. durch eine (internationale) Studie unsere Expertise abgesprochen. Jedoch wurde mit keinem Wort auf die einschlägigen internationalen Studien von Human Rights Watch, Amnesty International oderOpen Society Justice zu Racial Profiling eingegangen. Zudem wurden die historisch größten globalen anti-rassistischen Proteste, die sich entlang von rassistischer Polizeigewalt entzündet haben, ignoriert.

   2. Die Intransparenz der Kommission. Es wurde kein Protokoll geschrieben bzw. an uns zur Sichtung weitergegeben.

   3. Den Fokus auf die Polizei, statt auf Betroffene. Um staatliche Machtstrukturen, die insbesonderearme rassifizierte und illegalisierte Menschen frühzeitigen Toden aussetzen, wirklich aufbrechen zu können und institutionellem Rassismus entschlossen entgegen zu treten, ist u.a. eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle für Betroffene von Polizeigewalt dringend notwendig. Leider zielten die Fragen der Kommission aber – wie so oft – auf Vorschläge, mehr Ressourcen in die Institution Polizei zu stecken. ISD Frankfurt und copwatchffm stehen dem entschlossen entgegen. Wir wollen nicht mehr Ressourcen in die Polizei stecken, wir wollen mehr Ressourcen für alternative Konzepte von Sicherheit und Gerechtigkeit.

   4. Das „Gesetz über die unabhängige Bürger- und Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten des Landes Hessen“. Dieses wird im Abschlussbericht als polizeiferne Instanz „gelobt“. Für uns besteht keine Unabhängigkeit, solange eine institutionelle und hierarchische Verbindung zum Innenministerium oder den diesen unterstellten Polizeibehörden vorliegt. Nötige Kompetenzen einer wirklich unabhängigen Ermittlung, wie z.B. das Recht auf Akteneinsicht oder die Vorladung von Zeug*innen, sind nicht gegeben und Perspektiven sowie Expertisen von betroffenen Personen und Selbstorganisationen, die seit Jahrzehnten gegen polizeilichen und institutionellen Rassismus kämpfen werden so nicht gestärkt, sondern erneut ignoriert. Dabei gehen wir davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen rechtsextremen Netzwerken in der Polizei und  institutionellem Rassismus gibt, denn so können rechtsextreme Netzwerke „florieren“.

5. Die unzureichende Anerkennung von institutionellem Rassismus. Der Ausstieg aus der Kommission von HateAid und dem Institut für Menschenrechte überrascht uns keineswegs. Im Abschlussbericht wollte institutioneller Rassismus als gesellschaftliches und damit auch polizeiliches Problem nicht genügend anerkannt und begegnet werden.

Die Zusammensetzung der Kommission, von Landespolizeipräsident bis Verfassungsschutz, ermöglicht keine antirassistische, polizeikritische Arbeit, die sich wirklich mit der Unterstützung von Betroffenen und dem Kampf gegen Rassismus auseinandersetzen will! „Unabhängigkeit“ bedeutet für uns, dass auch Initiativen aus der Zivilgesellschaft und genügend Personen mit einschlägiger Expertise mit Bezug auf das „Polizeiproblem“ aus rassismuskritischer Perspektive, Analysen des Rechtsextremismus sowie aus den Kämpfen gegen Rassismus und Rechtsextremismus von Beginn an eingebunden (und nicht nachträglich „eingeladen“ werden). 

Aber wir kämpfen weiter! 

Wir fordern: 

#Die Anerkennung institutionellen Rassismus auch innerhalb polizeilicher Behörden 

#Eine wirklich unabhängige Melde- und Ermittlungsstelle

#Abschaffung sogenannter gefährlicher Orte“ und anlassloser Kontrollen sowie eine Dekriminalisierung von Armut und Migration

#Solidarität statt mehr polizeiliche Ressourcen und Polizei!

#Den sofortigen Rücktritt des hessischen Innenministers Peter Beuth

We look out for each other!

Solidarität statt Polizeigewalt!

Gemeinsames Statement zum 15.03.2021 – Internationaler Tag gegen Polizeigewalt

Nach dem Mord an George Floyd im Mai 2020 war rassistische Polizeigewalt kurzzeitig auch in Deutschland ein viel beachtetes Thema. Die daran anschließenden Proteste machten deutlich, dass Polizeigewalt auch hier Alltag vieler Menschen ist. Das zeigt sich in Form von Abschiebungen, Racial Profiling und anlasslosen Identitätskontrollen, im Umgang der Polizei mit BIPoC (Black, Indigenous, People of Color), wohnungslosen Menschen, Sexarbeiter:innen, Antifaschist:innen, Umweltaktivist:innen, be_hinderten Menschen und Menschen in psychischen Krisen.


Gerade zu Zeiten der Corona-Pandemie lässt sich deutlich erkennen, dass einige Personengruppen mehr im Fokus der Polizei stehen als andere. Beispielsweise erhalten wohnungslose Menschen und BIPoC deutlich häufiger Bußgeldbescheide – nicht etwa, weil sie mehr Verstöße begehen würden, sondern weil sie öfter kontrolliert werden. Hier zeigt sich deutlich, dass das Menschenbild der Polizei geprägt ist von einer Kriminalisierung marginalisierter Gruppen.


Zudem sterben auch in Deutschland Menschen durch Polizeigewalt und/oder während sie sich in Gewahrsam, also in der Obhut des Staates befinden. Allein 2020 wurden unter anderem Maria B. und Mohamed Idrissi von Polizist:innen ermordet. Ferhat Mayouf verbrannte im Gewahrsam der JVA Moabit. Dabei werden im Nachgang die Betroffenen nahezu immer selbst zu den Schuldigen erklärt, während die Beamt:innen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Mehr Infos zu diesem Thema befinden sich auf der Seite: deathincustody.noblogs.org.


Weiterhin vergeht kaum ein Tag, an dem keine neue rechte Chatgruppe oder andere Verflechtungen der Rechten Szene und den sogenannten Sicherheitsbehörden öffentlich werden. Der fehlende Aufklärungswille dieser sogenannten „Einzelfälle“ erinnert an den Umgang mit dem NSU-Komplex, wo die Polizei rassistisch im Familienumfeld der Opfer ermittelte und einen rechten Hintergrund kategorisch ausschloss.


Die Existenz rechter Netzwerke innerhalb der Polizei ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Fundament ist eine auf Ungleichheit aufbauende Gesellschaftsordnung, die die Polizei als ausführende Gewalt schützen soll. Die Kategorisierung und Klassifizierung von Menschen finden sich auch in Gesetzen wieder: Aufenthaltsrecht, Eigentumsrecht, Strafrecht etc. Wie könnte eine Polizei dieser Gesellschaft anders sein als rassistisch, klassistisch, sexistisch und ableistisch? Rechte Einstellungen in der Polizei finden dort ihren optimalen Nährboden.
Menschenverachtende Einstellungen und gewaltvolles Verhalten bei Polizist:innen werden bagatellisiert und durch eine fortwährende Kultur der Straflosigkeit sowie einem vorherrschenden Korpsgeist gefördert oder bewusst gedeckt. Die politischen Verantwortlichen, Staatsanwaltschaften und Gerichte stellen sich schützend vor die Polizei und verhindern systematisch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus in den Institutionen. 


Unabhängige Studien zu Polizeigewalt und Rassismus werden politisch blockiert, verzögert und als einseitig kritisiert. Innerhalb der Polizei wird jegliche Kritik vehement abgewehrt. Dies zeigt, dass sich die Polizei als ein geschlossenes, unantastbares und vor allem unfehlbares System versteht. 


Betroffene haben es schwer, Gehör und Unterstützung zu finden. Im deutschen Justizsystem gibt es praktisch keine Unterstützung für Menschen, die Polizeigewalt erleben. Darüber hinaus richten das Absprechen von Traumata und die systematische Leugnung der Gewalterfahrung von polizeilicher Seite nachhaltig Schäden bei den Betroffenen an. Selten kommt es zu Anzeigen und noch seltener zu Verurteilungen von Polizist:innen. Außerdem gehört es zur Alltagspraxis der Beamt:innen, insbesondere bei gewalttätigen Übergriffen im Dienst, die betroffenen Personen präventiv anzuzeigen, um einer eigenen strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. So kommt es zu einer zusätzlichen Kriminalisierung von Menschen, die versuchen, sich gegen die Gewalt, welche sie erfahren, zu wehren.


Den Internationalen Tag gegen Polizeigewalt am 15. März nehmen wir erneut zum Anlass, diese anhaltenden Missstände anzuprangern, Forderungen zu stellen und uns solidarisch mit den Betroffenen von Polizeigewalt zu zeigen. Wir sind verschiedene Initiativen, welche sich kritisch mit der Institution Polizei und Polizeigewalt auseinandersetzen. Das tun wir lokal, direkt vor unserer Haustür. Denn Polizeigewalt ist in Deutschland Alltag. In folgenden Orten gibt es Gruppen, welche Betroffene unterstützen und von ihren Erfahrungen mit Polizeigewalt in ihrer Stadt berichten.

Überall ist Polizeigewalt, überall ist Widerstand!

Copwatch Ffm (Frankfurt am Main)In Hessen häuften sich 2020 die Fälle rechtsextremer Täter:innen in den Sicherheitsbehörden – seien es die mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Todesdrohungen, das Abrufen persönlicher Daten von hessischen Polizeicomputern oder rassistische Chatgruppen von Polizist:innen. Und nach den Geschehnissen am Frankfurter Opernplatz wurden insbesondere migrantisierte Jugendliche mit rassistischen Polizeikontrollen schikaniert. Wir haben uns 2013 mit dem Ziel gegründet, gemeinsam der Normalität von Racial Profiling die konkrete Unterstützung für Betroffene, die solidarische Aktivierung von Passant*innen und eine politische Öffentlichkeitsarbeit entgegenzusetzen. Unsere Arbeit hat drei politische Schwerpunkte: die Telefonhotline, die Informationsstelle und die Dokumentation rassistischer Polizeikontrollen in Frankfurt. Wir werden nicht müde immer wieder gemeinsam mit den betroffenen Personen gegen die sprichwörtlichen Mühlen anzukämpfen!


Kooperation gegen Polizeigewalt (Dresden)Zu Beginn des Jahres 2020 trat das neue Sächsische Polizeigesetz in Kraft, damit wurden die Befugnisse der Polizei auch in Sachsen ausgeweitet. Die Corona-Maßnahmen führten zu einer erhöhten Präsenz der Polizei auf der Straße. Im Zuge dessen nahmen Kontrollen zu. Dies bekamen vor allem Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, zu spüren. Dagegen regte sich Widerstand. Es fanden mehrere Demonstrationen der Black Lives Matter Bewegung und Kundgebungen gegen Polizeigewalt statt. Eine tatsächliche Kontrolle der Polizei und ihres Handelns gibt es nicht. Deshalb gründeten wir im Frühjahr 2020 die Kooperation gegen Polizeigewalt (KGP). Wir bauen eine unabhängige Beschwerdestelle und ein unterstützendes Netzwerk für Betroffene von Polizeigewalt in Dresden auf.


Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) BremenSeit nunmehr acht Jahren arbeitet KOP Bremen kontinuierlich zu den Themen Polizeigewalt, Racial Profiling und institutioneller Rassismus. In zahlreichen Veranstaltungen und Workshops hat KOP über diese Themen informiert und potentiell Betroffene wie Zeug:innen über Handlungsmöglichkeiten informiert. Seit einigen Jahren arbeitet KOP Bremen daran, den 15. März bedeutsam zu machen. In Bremen gibt es eine traurige Kontinuität der tödlichen Polizeigewalt. So starb Laya-Alama Condé 2005 durch die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln, eine bis dahin häufig durch die Polizei und den Beweissicherungsdienst angewandte Folterpraxis. Im Jahr 2020 wurde Mohamed Idrissi von der Polizei erschossen, nachdem er versuchte, vor einer Pfefferspray-Attacke eines Beamten zu flüchten – die Polizei war ohne den sozialpsychatrischen Dienst vor Ort, obwohl sie von der psychischen Erkrankung Mohameds wusste. Daraufhin hat sich das Bündnis JusticeforMohamed gegründet, in dem die Angehörigen Mohameds zusammen mit anderen Gruppen gemeinsam für Aufklärung und Gerechtigkeit kämpfen. 
Copwatch HamburgSeit April 2018 organisiert Copwatch Hamburg rund um die Balduintreppe solidarische Aktionen für eine Abschaffung der sogenannten ‚gefährlichen Orte‘ in den Stadtteilen St. Pauli, St. Georg und der Sternschanze sowie gegen rassistische und anderweitig diskriminierende Polizeikontrollen. Wir unterstützen seitdem Betroffene rassistischer Kriminalisierung, beobachten und dokumentieren polizeiliche Maßnahmen und machen diese öffentlich. Dass Hamburg ein massives Polizeiproblem hat, wurde auch im Jahr 2020 wieder einmal deutlich: So führten etwa die erweiterten polizeilichen Befugnisse im Zuge der Eindämmung der Corona-Pandemie gerade in den sogenannten ‚gefährlichen Orten‘ zu einer Zunahme diskriminierender Polizeikontrollen und -übergriffe. Wir lassen die davon Betroffenen nicht allein und setzen weiterhin auf praktische Solidarität und Widerstand!


Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) KielKOP Kiel unterstützt, seit 2017, von rassistischen Kontrollen und rassistischer Polizeigewalt betroffene Menschen. Mit Workshops, Veranstaltungen und Infotischen sensibilisiert KOP Kiel für diese Themen und erarbeitet Handlungsmöglichkeiten. Mit einem Rechtshilfefonds werden betroffene Menschen finanziell unterstützt. Besonders im Frühjahr und Sommer des Jahres 2020, unter den geltenden Kontaktbeschränkungen, kam es gehäuft zur Beobachtung rassistischer Kontrollen in Parks, an der Kiellinie und am Germaniahafen. Die besondere Lage am Hafen verursacht, dass auch Zollbeamt:innen Leute verdächtigen und rassistische Kontrollen durchführen. Ende Februar 2021 wurde das neues Polizeigesetz für Schleswig-Holstein verabschiedet, mit weitreichenden Befugnissen für die Polizist:innen. Wir bleiben weiterhin wachsam und zeigen uns solidarisch mit betroffenen Menschen.


CopWatch Leipzig Wir, CopWatch Leipzig, haben uns vor zwei Jahren anlässlich der Einführung einer Waffenverbotszone in Leipzig gegründet. Wir sind eine Gruppe von Aktivist:innen, die sich kritisch mit Polizei und Themen wie Racial Profiling, autoritärer Entwicklung, Militarisierung oder der Einschränkung von Grundrechten auseinandersetzt. Wir sehen diese Themen in einem kapitalismuskritischen Kontext und versuchen dem einen sozialen Sicherheitsbegriff und Perspektiven auf Grundlage der Transformative Justice gegenüberzustellen. Ebenso versuchen wir eine Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene anzubieten und ihnen Handlungsspielräume zu eröffnen. Wir erfassen Kontrollen, begleiten ggf. darauffolgende Prozesse, problematisieren rassistische Polizeipraxis in der Öffentlichkeit und versuchen so auch Druck auf die entsprechenden Behörden auszuüben. Darüber hinaus versuchen wir duch Texte, Plakate, Flyer und Workshops zum Empowerment und zur Unterstützung Betroffener beizutragen.  Dass Sachsen ein Polizeiproblem hat ist nichts Neues – umso wichtiger nun solidarische Strukturen zu schaffen und gleichzeitig Druck auf Polizei aufzubauen und diesen mit einer radikalen Kritik an der repressiven Politik und dem ausgrenzenden System dahinter zu verknüpfen.

Wir wollen das Problem Polizeigewalt angehen!

Kurzfristig fordern wir:

  • Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen     
  • Demilitarisierung von Einsatzkräften wie z.B. die Abschaffung von Tasern und Schusswaffen
  • Abschaffung sogenannter „gefährlicher Orte“ und anlassloser Kontrollen  
  • Abschaffung präventiver Ermittlungskompetenzen    
  • Lückenlose Aufklärung rechter Netzwerke innerhalb der Polizei    
  • Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen für Polizeigewalt mit eigenständigen Ermittlungsbefugnissen         

        Langfristig fordern wir:  

  • Die Abschaffung der Polizei und Entwicklung alternativer Konzepte zu Polizei und Strafsystemen
  • Soziale Konzepte und Lösungen, die nicht auf Strafen und Wegsperren abzielen und damit Probleme  scheinbar unsichtbar werden lassen, sondern soziale Lösungen für soziale Probleme

        Bis diese Forderungen umgesetzt sind, fordern wir Euch auf:

  • Hinsehen und Einmischen statt Wegsehen: Seid solidarisch mit Betroffenen von Racial Profiling und anderen Formen von Polizeigewalt!         
  • Leistet solidarische und langfristige Unterstützung für Betroffene!
  • Werdet aktiv gegen Polizeigewalt! Gründet lokale Copwatch/KOP Gruppen! 

Stellungnahme Opernplatz 08.08.2020

Nachdem es in der Nacht von Samstag auf Sonntag am 19. Juli 2020 zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Besucher*innen des Opernplatzes gekommen ist, reagierte die Stadt Frankfurt am 23. Juli 2020 mit einer Allgemeinverfügung über den nächtlichen Aufenthalt am Opernplatz in Frankfurt, die ein Betreten des Platzes ab 0:00 Uhr und den Aufenthalt auf dem Platz zwischen 1:00 und 5:00 Uhr Nachts verbietet. 

Als Informations- und Dokumentationsstelle, die Betroffene unterstützt, wissen wir, dass rassistische Polizeikontrollen (Racial Profiling) in Frankfurt immer wieder passieren. Seit den Geschehnissen am Opernplatz lässt die Polizei insbesondere Schwarze Jugendliche, Jugendliche of Color und migrantisierte Jugendliche nicht in Ruhe und schikaniert sie mit rassistischen Kontrollen in der Innenstadt, im Bahnhofsviertel und in der Umgebung des Opernplatzes. Dadurch wird die Innenstadt zum Angstraum für betroffene Menschen. Aktuell weitet die Polizei die Kontrollen sogar im ÖPNV aus und begründet dies mit den Geschehnissen am Opernplatz. Sowohl Betroffene als auch Augenzeug*innen berichteten, dass fast ausschließlich „migrantisch“ gelesene Jugendliche und junge Erwachsene im Fokus der Polizei standen. Die betroffenen Personen, solidarische Aktivist*innen und Passant*innen intervenieren, stehen den Kontrollierten bei und kritisieren diese rassistische Praxis.

Obwohl Racial Profiling seit Jahren eine Belastung und Bedrohung für betroffene Menschen darstellt, weist die Polizei Vorwürfe dieser Art zurück.  Eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus innerhalb der Polizei wird immer wieder verhindert, zuletzt mit dem Argument dies sei verboten und somit nicht vorhanden. Ein Merkmal von Rassismus ist es, Personengruppen in bestimmte Kategorien einzuteilen (z.B. als migrantisch) und ihnen dann pauschal eine höhere Bereitschaft zu Kriminalität zu unterstellen. Die Polizei tut genau das. Polizeipräsident Gerhard Bereswill betont, seine Beamten stünden völlig zu Unrecht unter Generalverdacht, obwohl es seit Jahren den Vorwurf des Rassismus gegen die Frankfurter Polizei gibt und obwohl zur gleichen Zeit der NSU 2.0 mutmaßlich weiterhin unter Rückgriff auf Polizeidaten Todesdrohungen verschickt. Die Behauptung eines Generalverdachts gegen die Polizei ist zynisch, da Racial Profiling genau auf einem solchen Generalverdacht gegen Schwarze und Personen of Color aufbaut. Die Opferposition, die die Polizei hier für sich beansprucht, ist absurd angesichts der Macht, die die Polizei innehat.

Am ersten Wochenende der Opernplatzräumung kam es zu „Begegnungen“ zwischen der Stadt Frankfurt, vertreten durch Oberbürgermeister Peter Feldmann und Stadtrat Markus Frank und Betroffenen. Hierbei wies Frank die vielfachen Vorwürfe des Racial Profiling ignorant als „Bullshit“ zurück. Und Feldmann hatte für die Sorgen der Betroffenen nur leere Phrasen übrig. Die Versäumnisse der städtischen Politik sich für die Coronazeit um sichere Räume und Plätze für alle zu kümmern, an denen sich aufgehalten werden kann, werden nun dadurch verschleiert, dass eine Gruppe konstruiert wird (Personen „mit Migrationshintergrund“), die gar keine einheitliche Gruppe ist, sondern Personen mit sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten und Erfahrungen. Und diesen zu „den Anderen“ gemachten Personen wird dann öffentlichkeitswirksam die Schuld an den Auseinandersetzungen mit der Polizei am Opernplatz gegeben.

Die Stimmungsmache, die sowohl von den Polizeiverantwortlichen, als auch der Presse initiiert wurde, hat in der Zivilbevölkerung Konsequenzen für die Betroffenen. Es ist aufgrund eines ausbleibenden öffentlichen Aufschreis der Mehrheitsgesellschaft zu befürchten, dass es zu einer zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung für offene rassistische Polizeirepression kommt. Politische Gruppen, die sich gegen strukturellen, institutionellen Rassismus, Diskriminierung und Racial Profiling engagieren, werden kaum bis gar nicht gehört und stattdessen denunziert.

Wir kritisieren zutiefst die Diskursverschiebung, die von Politik, Polizei und vielen Medien aktuell betrieben wird und fordern stattdessen:

1. Solidarität mit Betroffenen von Racial Profiling und rassistischer Polizeirepression

2. Die Beendigung dieser massiven Polizeipräsenz in der Stadt. Die rassistische Alltagspraxis von Behörden darf nicht hingenommen werden. Herr Feldmann betont ja gerne, dass Frankfurt so „multi-kulti“ sei und gibt damit international an. Dann soll er sich jetzt auch für die vielen Menschen mit internationaler Geschichte, für die die Polizei keine Sicherheit, sondern Angst bedeutet, einsetzen und diese rassistische Praxis beenden!

3. Das Recht in Ruhe gelassen zu werden, unbehelligt am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, ohne Gewalt, Diskriminierung und Kriminalisierung ausgesetzt zu sein. Dieses Recht muss es für alle Menschen geben!

Stellungnahme – Rassistischer Übergriff in Mannheim

Stellungnahme von copwatchffm zu einem rassistischen Übergriff an einem Minderjährigen in Mannheim

Ein siebzehnjähriger Mannheimer wird von einer Gruppe Polizist*innen massiv körperlich misshandelt und rassistisch beleidigt. Mitten in der Nacht entlässt die Polizei den minderjährigen Jungen mit einer Gehirnerschütterung ohne die Eltern zu verständigen.

In den letzten Tagen kursierte ein verstörendes Videos der brutalen Misshandlungen eines Schwarzen Mannes durch Berliner Polizisten am Berliner Kottbusser Tor durch das Netz. „Das ist Deutschland und nicht die USA!“, kommentierten viele den Vorfall. Als Copwatch Frankfurt begegnen uns solche Geschichten jedoch häufiger. Brutale Polizeigewalt ist in Deutschland weitaus alltäglicher als viele wahrhaben wollen.

Selten erfährt sie soviel Aufmerksamkeit durch eine kritische Öffentlichkeit wie aktuell im Berliner Fall. Die meisten rassistisch motivierten Übergriffe durch Polizist*innen finden unbeachtet in der Öffentlichkeit statt. Dies zeigt ein aktueller Fall aus Mannheim:

Während der siebzehnjährige Aram P. (Name geändert) von fünf Polizisten brutal misshandelt wurde, ging das Nachtleben an einer lauen Mannheimer Sommernacht für die umherstehenden Passant*innen weiter als wäre nichts geschehen. Selbst Arams Freunde griffen nicht ein, standen sprach- und hilflos neben den prügelnden Polizist*innen. Arams Fall zeigt wie alltäglich rassistische Polizeigewalt ist und wie folgenreich diese Übergriffe für den Alltag der Betroffenen sind.

Als Einziger festgenommen und während der Festnahme misshandelt

Aram P. war in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 11.08.2018 mit Freund*innen im Jungbusch unterwegs, eine Sommernacht in einem beliebten Mannheimer Ausgehviertel. Aram steht zwischen seinen Freunden als er plötzlich von mehreren Polizeibeamten herausgegriffen und zu Boden gerungen wird. „Die sind gezielt auf mich, den einzigen Schwarzkopf in der Gruppe, gegangen“, erzählt der 17-Jährige. Innerhalb von Sekunden knien fünf Beamte auf seinen Armen und Beinen und schlagen seinen Kopf mehrfach auf den Boden. „Ich hab schon gemerkt: Die wollen mir weh tun. Und ich hab Worte wie ‚Kanake‘, ‚Penner‘ und sowas gehört.“ Zehn weitere Polizeibeamte bilden einen Kreis um die fünf Polizist*innen, die Aram misshandeln, und versuchen so den Umherstehenden die Sicht auf das Geschehen zu verbergen. Trotzdem filmen die anwesenden Freund*innen den Polizeiangriff mit dem Handy, um Beweise zu sammeln. Die Polizeibeamten unterbinden dies wiederum, indem sie den Filmenden Anzeigen androhen und zwingen sie, die Videos zu löschen und die Geräte auszuschalten. Das Ganze spielt sich innerhalb weniger Minuten ab. Aram wird schließlich in Handschellen gelegt und im Streifenwagen auf die Polizeiwache H4 gebracht. Erst dort teilt man ihm mit, dass er wegen Beleidigung festgenommen wurde. Ihm wird vorgeworfen, er habe bei einem Polizeieinsatz, der kurz vorher im Jungbusch stattgefunden hatte, „ACAB“, die Abkürzung des amerikanischen Spruchs „all cops are bastards“, gerufen.

Unterlassene Fürsorgepflicht an einem Minderjährigen

Ihre Fürsorgepflicht gegenüber einem siebzehnjährigen Schüler nahm die Polizei in grob fahrlässiger Weise nicht wahr. Nach einer Stunde entlassen sie den jungen Mann, der von der Festnahme Prellungen und eine Gehirnerschütterung davongetragen hat, ohne die Eltern zu informieren und ohne eine medizinische Versorgung zu veranlassen. Mit einem während des Übergriffs komplett zerrissenem T-Shirt kommt der Siebzehnjährige aus der Wache heraus. „Ich bin erstmal orientierungslos herumgelaufen. Hab mich zweimal übergeben. Dann hab ich irgendwann meine Freunde angerufen und bin zu denen zurückgegangen“, erzählt Aram. Bis heute spürt er die Nachwirkungen der Gehirnerschütterung, vor allem aber des traumatischen Erlebnisses. Es fällt ihm schwer von dem Vorfall zu erzählen.

Aram wird abends als einzige Person of Color aus einer Gruppe Jugendlicher herausgeholt. Seine Hautfarbe, sein Geschlecht und sein Alter genügen, um ihn verdächtig erscheinen zu lassen. Dies ist ein klassischer Fall rassistischer Polizeikontrollen. Im Verlauf der Überprüfung verhält sich die Polizei ihm gegenüber respektlos und wird grundlos gewalttätig. Die Situation eskaliert ohne Arams Zutun. Die anderen Polizist*innen greifen in dieser Situation nicht mäßigend ein, vielmehr stellen Sie sich schützend vor ihre Kollegen. Freunde und Passanten lassen den Jungen alleine und zeigen keinerlei Zivilcourage.

Beamte der Polizeiwache H4 für rassistische Gewalt bekannt

Dieser Vorfall scheint kein Einzelfall zu sein. Die Wache H4 ist in den migrantischen und Schwarzen Communities Mannheims bekannt für rassistische Polizeigewalt. „Jeder Schwarzkopf hier in Mannheim kann dir ein rassistisches Erlebnis im Zusammenhang mit der Wache H4 erzählen“, erklärt ein Mannheimer mittleren Alters, mit dem wir über den Vorfall ins Gespräch kommen. Die Häufung solcher rassistischer Übergriffe wurde bisher von der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern ignoriert bzw. hat keinerlei sichtbare Konsequenzen nach sich gezogen.

Rassistische Kommentare bei der Behandlung im Krankenhaus

Aram geht am nächsten Vormittag gemeinsam mit seiner Schwester zum Arzt. Er muss sich ständig übergeben und die Familie vermutet eine Gehirnerschütterung. Beim Arzt erwähnen sie nicht, dass die Verletzungen von Polizeibeamten zugefügt wurden und suchen einfach eine ärztliche Behandlung. Der behandelnde Arzt empfängt die Familie mit einer ganzen Reihe rassistischer Vorurteile, und so ist Aram nach der schmerzhaften Erfahrung der Polizeigewalt nun auch noch dem Klischee des sich prügelnden Ausländers ausgesetzt. Auch das mehrfache Übergeben erklärt der Arzt zunächst mit extremem Alkoholkonsum. Die vielfältigen Symptome einer Gehirnerschütterung ignoriert er zunächst und rät auch von einem Krankenhausaufenthalt ab.

Nach einem traumatischen Erlebnis trifft Aram bei dem behandelnden Arzt auf rassistische Ressentiments, wird nicht ernst genommen und nur nachlässig behandelt. Aram fühlt sich eher abgewimmelt als richtig behandelt. Eine Erfahrung, die er mit vielen Migrantinnen und Menschen of Color teilt, sie werden von Ärzten und Sozialarbeitern nicht ernst genommen und erfahren in einer traumatischen Situation zusätzliche Gewalt aufgrund rassistischer Vorstellungen.

Isolierung der Betroffenen und fehlende Zivilcourage – Passanten spielen während des Polizeiübergriffs wenige Meter entfernt weiter Gitarre

Das schlimmste an dem Vorfall, beklagt Aram, sei die fehlende Zivilcourage seiner Mitmenschen. Dies würde ihn genauso schmerzen, wie die rassistische Gewalt der Polizei. „Als das ganze passiert ist, hat das ja niemanden gejuckt. Ein paar Meter weiter saß eine Gruppe von Leuten, die haben einfach weiter Gitarre gespielt, als ob nix wäre“.

Auch dies ist ein schmerzhaftes Nachwirken rassistischer Polizeikontrollen und Erfahrungen von Gewalt durch die Polizei. Betroffene fühlen sich isoliert, sie sind enttäuscht von Freunden und Mitmenschen. Denn während die einen solche Erlebnisse nur zu gut kennen, haben viele Deutsche ohne Migrations- oder Minderheitenerfahrung keine Vorstellung von Rassismus und lassen die Betroffenen in der Notsituation alleine, schenken ihnen kein Gehör oder unterstellen sogar Mitschuld. Hier gilt es, Möglichkeiten umsichtiger Zivilcourage sichtbar zu machem, um und bei polizeilicher Willkür als kritische Öffentlichkeit agieren zu können.

Die Freitagnacht im August wird Aram noch lange in Erinnerung bleiben. Und dennoch will er sich nicht einschüchtern lassen. Aram und seine Familie wollen die erschreckende Normalität rassistischer Polizeigewalt nicht weiter hinnehmen.

Copwatchffm untersucht, betreut und unterstützt seit zwei Jahren Opfer rassistischer Polizeigewalt.

Gemeinsam mit den Betroffenen fordern wir:

• eine unabhängige Aufklärung und politische Untersuchung des Falles.

• eine Auseinandersetzung der Mannheimer Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft mit dem Fall: Es ist für eine Stadtgesellschaft nicht tragbar, dass ein Minderjähriger von fünf Polizeibeamten in der Öffentlichkeit so misshandelt wird und die Umstehenden wegsehen.

• Racial Profiling zu benennen und wiederholte rassistische Polizeipraxis zu kritisieren. Es gilt deeskalative Interventionsstrategien zu verbreiten, die Gesellschaft zu sensibilisieren und Betroffene zu unterstützen.

• Auf Bundesebene fordern wir eine sofortige Abschaffung des Paragraphen 22
 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes, der Racial Profiling möglich macht, sowie der Regelungen zu sogenannten
 „gefährlichen Orten“.

• die Einführung unabhängiger Untersuchungs- und Kontrollinstanzen der Polizei.

We look out for each other!

Pressemitteilung 11. Juni. 2018 _ Ende gut, alles gut? Die Normalität rassistischer Polizeigewalt wird im Gericht ausgeblendet

Am 10. Juli 2018 wurde im Amtsgericht Frankfurt am Main die Hauptverhandlung gegen Nelson K. durchgeführt, der der „Körperverletzung“ und des „Widerstands gegen Vollzugsbeamte“ beschuldigt war. Das Verfahren wurde gegen Zahlung von 100 € an den gemeinnützigen Verein „Pro Asyl“ eingestellt.

Obwohl derlei Verfahren wohl meist schlimmer für die Beschuldigten ausgehen, ist dies kein Grund zum Feiern. Allein der Umstand, dass Herr K., der von den als Zeug*innen geladenen Polizeibeamt*innen damals körperlich und psychisch verletzt wurde, sich als Angeklagter vor Gericht begeben musste, ist zynisch; wenn auch leider keinesfalls ungewöhnlich.

In einer Septembernacht 2017 im Bahnhofsviertel wurde Herr K. mit Handschellen gefesselt von zwei Polizeibeamt*innen auf das 4. Revier in der Gutleutstraße verfrachtet, um dort seine Identität festzustellen. Diese ohnehin schon rassistische Kontrolle hätte genauso gut vor Ort stattfinden können, da er seinen Personalausweis dabei hatte. Dass Herr K.‘s Hautfarbe für die Polizeibeamt*innen aber scheinbar ausschlaggebender war, spiegelt sich auch in den Berichten wider, die die Beamt*innen verfasst haben. Herr K.‘s Staatsangehörigkeit wird als deutsch-kenianisch bezeichnet, wobei selbst auf Nachfrage des Rechtsanwaltes keine*r der Zeug*innen erklären konnte, wie sie zu dieser Angabe kamen. Die Identitätsfeststellung erscheint dadurch noch absurder. Auch hatte Herr K. während seines Aufenthaltes auf dem Revier durchgehend Handschellen angelegt. Seiner Forderung eine Anzeige gegen das Verhalten der Polizeibeamt*innen zu stellen, wurde nicht nachgegangen; stattdessen wurde er in eine Zelle gesperrt und dann früh morgens aus dem Revier geworfen.

Dass das rassistische Vorgehen der Polizei, das vom Angeklagten mehrfach konkret als solches benannt wurde, im Gerichtssaal nicht einmal als solches debattiert wird, zeigt, welchen Stellenwert der Vorwurf des Rassismus hat: er wird ausgeblendet und verschwiegen, auch im Gerichtssaal. Dass Racial Profiling der Ausgangspunkt für die weitere eskalierende Gewaltanwendung der Polizeibeamt*innen war, bleibt unbenannt.

Wir fordern unabhängige Beschwerdestellen, wo Polizeigewalt wirksam angeklagt werden kann!

Wir fordern ein Ende von Racial Profiling, welches immer wieder unter dem Vorwand der „verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen“ durchgeführt wird!

Wir fordern die Abschaffung der sogenannten „gefährlichen“ oder auch „verrufenen Orte“, die der Polizei als Grundlage für willkürliche Vorgehensweisen, wie bspw. und insbesondere Racial Profiling, bietet!

Wir fordern die Schließung der AAO (Allgemeinen Aufbauorganisation) der Frankfurter Polizei, die im Bahnhofsviertel massiv durch rassistische Polizeikontrollen auffällt!

Wir fordern die Zivilgesellschaft auf sich Rassismus in den Weg zu stellen und Polizeikontrollen kritisch zu beobachten, insbesondere im Bahnhofsviertel, wo die Kontrollen so massiv sind, dass Mobilität und Aufenthalt dort für Schwarze Menschen und Personen of Color geradezu unmöglich sind!

copwatchffm

Informations- und Dokumentationsstelle für Betroffene rassistischer Polizeigewalt in Frankfurt

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